Ein ganzes Dorf packt an

Uganda-Hilfe St. Mauritz baut ein ganzes Dorf von Klaus Baumeister (Westfälische Nachrichten 14.10.2017)

Münster – Wie ein Fortsetzungsroman gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen der Uganda-Hilfe St. Mauritz und den Westfälischen Nachrichten. Seit 22 22 Jahren berichtet der Redakteur Klaus Baumeister über das Engagement der Uganda-Hilfe für die Menschen in Obiya Palaro. Jetzt fliegt er selbst dort hin und schaut sich das Dorf im Norden Ugandas an.

Zugegeben: An meinen ersten Zeitungsartikel über die Uganda-Hilfe St. Mauritz kann ich mich nicht mehr erinnern. In Vorbereitung auf meine Reise nach Uganda habe ich in unserem Archiv gewühlt und den Bericht gefunden. Er erschien am 25. November 1995. 

Die Lokalredaktion Münster der WN veranstaltet in jedem Jahr zur Adventszeit eine Spendenaktion. Jahrelang gehörte ich zum Team, für die Spendenaktion 1995/96 wurde ich der Uganda-Hilfe St. Mauritz zugeteilt. Sie plante seinerzeit den Bau einer Medizinstation in ihrem Partnerdorf Obiya Palaro im Norden Ugandas.

Dieser banalen Entscheidung verdanke ich eine seit Jahrzehnten bestehende Beziehung zu der Familie Schmitz-Hövener und den vielen ehrenamtlich Tätigen in der Uganda-Hilfe. Sozusagen vor meinem journalistischen Auge bauten sie ein ganzes Dorf auf.

Mein jetzt anstehender Besuch in Obiya Palaro erlaubt mir etwas, was einem Lokalredakteur in seinem Berufsleben vermutlich nur einmal vergönnt ist: Ich schaue mir ein Dorf an, dessen Entstehung ich in 43 Zeitungsberichten – verteilt auf 22 Jahre – beschrieben habe. Die Grundlage meiner bisherigen Arbeit waren die Berichte von Sabine, Julia und Ulrich Schmitz-Hövener sowie die Schilderungen von Bischof Sabino Odoki und Father Cyprian, die ich über die Uganda-Hilfe kennengelernt habe. Jetzt aber steht der ultimative Faktencheck bevor. 

Das Projekt Uganda war seinerzeit für mich Routine. Traditionell geht es bei der journalistischen Begleitung der Spendenaktion darum, die Partnerorganisation und das konkrete Hilfsprojekt vorzustellen. Einige Jahre nach dem Ende der Spendenaktion wird Vollzug gemeldet. Das Projekt ist umgesetzt, das Spendengeld gut angelegt. Nach diesem Prinzip habe ich viele Hilfsprojekte betreut: in Indien, Brasilien, Bolivien, Peru, Ghana, Nigeria, Papua-Neuguinea und anderswo. 

Bei dem Bau der Medizinstation in Obiya Palaro verhielt es sich anders. Die Umsetzung ließ auf sich warten und gestaltete sich zäh. Bürgerkriegswirren und ein blutiger Überfall auf das Dorf sorgten für Rückschläge. Die Uganda-Hilfe hatte Probleme, das Baumaterial zu besorgen, angeheuerte Bauarbeiter kamen nicht. Aids und Flüchtlingswellen aus dem Sudan taten ihr Übriges. Der schnelle Erfolg war der Uganda-Hilfe nicht vergönnt. 

 Diese Schulkinder in Obiya Palaro waren noch gar nicht geboren, als die Uganda-Hilfe St. Mauritz ihre Arbeit aufnahm und unsere Zeitung begann, darüber zu berichten.
 Diese Schulkinder in Obiya Palaro waren noch gar nicht geboren, als die Uganda-Hilfe St. Mauritz ihre Arbeit aufnahm und unsere Zeitung begann, darüber zu berichten.

Immer wieder musste ich bei Ulrich Schmitz-Hövener, dem Vorsitzenden der Uganda-Hilfe St. Mauritz, nachhaken. Nie wich er meinen Fragen aus. Nie versuchte er, den Sachverhalt zu beschönigen. „Wer in Afrika etwas bewegen möchte, muss improvisieren können und Geduld haben“, so lautete sein Standardspruch. 

Ende gut, alles gut. Nach drei Jahren war die Medizinstation 1998 fertiggestellt, endlich konnte ich die gewünschte Erfolgsmeldung in unserer Zeitung platzieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Uganda-Hilfe auch jenseits der Erfordernisse einer WN-Spendenaktion meine Neugierde geweckt. Das hing nicht zuletzt mit dem kommunikativen Geschick Ulrich Schmitz-Höveners zusammen. Im Miteinander fanden wir beide die richtige Mischung aus Nähe und Distanz. Nie drängte sich Schmitz-Hövener mir auf. Aber sobald er die Gefahr sah, dass der Kontakt abreißen könnte, meldete er sich mit einem neuen Thema bei mir. 

Ohne dass wir beide es so konzipiert haben, entwickelte sich das „Projekt Obiya Palaro“ zu einem Fortsetzungsroman in den WN. Vom Brunnenbau bis zu den neuen Lehrerwohnungen, von der Multifunktionshalle über die Entbindungsstation bis zu den ersten Plänen, in Obiya Palaro ein kleines Krankenhaus zu bauen: Jedes einzelne Kapitel kam – für sich betrachtet –  unaufdringlich daher. In der Zusammenschau aber hatte der geneigte Zeitungsleser die Chance, die komplette Genese eines afrikanischen Dorfes mitzuerleben. Häufig erfolgten die Veröffentlichungen in Absprache mit den Kollegen der Lokalredaktion Warendorf, denn auch das Augustin-Wibbelt-Gymnasium in Warendorf, wo Sabine Schmitz-Hövener als Lehrerin arbeitet, ist seit Jahrzehnten eng mit Uganda verbunden. Von dem früheren Leiter des Gymnasiums, Günter Ellger, stammt der enthusiastische Appell, sich anstecken zu lassen „vom G eist eines Entwicklungsprojektes für Tausende von Menschen in Norduganda, das aus der Wurzel christlichen Handelns erwächst, ohne Profitstreben, um Menschen und Kulturen zusammenzuführen.“  

Der Umstand, dass Obiya Palaro in der Zeit der WN-Berichterstattung über die Uganda-Hilfe St. Mauritz von 5000 auf 20 000 Einwohner angewachsen ist, dokumentiert die Qualität der geschaffenen Infrastruktur. Die Magnetwirkung des Dorfes kann man inzwischen sogar im Internet sehen, wenn man Obiya Palaro bei Google-Maps eingibt. Deutlich kann man die blau gefärbten Dächer der Gemeinschaftseinrichtungen erkennen. Blaue Dächer gibt es nur in Obiya Palaro. Und das nicht ohne Grund: Scheinbar normale Dachplatten sind im Norden Ugandas ein solcher Luxus, dass die grelle Farbe als wirksamer Diebstahlschutz herhalten muss. 

2006 und 2007 waren die Kontakte zur Uganda-Hilfe sehr eng, weil Julia Schmitz-Hövener in der Medizinstation arbeitete und regelmäßig für unsere Zeitung berichtete. Plötzlich standen nicht mehr Bauvorhaben oder Finanzierungskonzepte im Mittelpunkt, sondern konkrete menschliche Schicksale. Sehr einfühlsam schilderte Julia Schmitz-Hövener den Alltag in Obiya Palaro, mit Freud und Leid und allem, was dazu gehört. Für unseren WN-Fortsetzungsroman schrieb sie neue, sehr persönliche Kapitel. Ohnehin gehört bei der Uganda-Hilfe St. Mauritz die persönliche Begegnung ebenso zum Partnerschaftskonzept wie die Entwicklungshilfearbeit. Der persönliche Kontakt bildete auch den Anfang, als sich Sabine Schmitz-Hövener und der ugandische Priester Sabino Odoki im Wallfahrtsort Taizé trafen. Odoki vermittelte den Kontakt nach Obiya Palaro und ist auch heute noch, wenngleich inzwischen Bischof der ugandische Diözese Arua, ein regelmäßiger Gast in dem Dorf. 

 Rund um diese von den WN-Lesern finanzierte Krankenstation ist in den vergangenen 20 Jahren ein komplettes Dorf gewachsen
 2015 entschied der Verlag Aschendorff, die Uganda-Hilfe St. Mauritz ein zweites Mal bei der WN-Spendenaktion zu berücksichtigen, genau 20 Jahre nach der ersten Aktion. Die Pläne für das Kleinkrankenhaus waren so weit fortgeschritten, dass Ulrich Schmitz-Hövener das bislang größte Einzelprojekt anging – mit Unterstützung der Leser unserer Zeitung. 
 

Bei einem unserer Treffen erneuerte der Vereinsvorsitzende mir gegenüber das Angebot, einmal mit nach Uganda zu fliegen und Obiya Palaro zu erkunden. Ich sagte ja. Die Zeit war reif dafür. Der Anlass ist auch ein ganz besonderer. Das „dörfliche Entwicklungsprogramm“, wie die Uganda-Hilfe ihre Aufbauarbeit tituliert, läuft jetzt seit 25 Jahren. 

Jetzt schließt sich der Kreis. Zu unserer Reisegruppe (alle finanzieren ihre Reise privat) gehören neben meiner Frau Ruth und dem Ehepaar Sabine und Ulrich Schmitz-Hövener auch zwei Pfarrer von St. Mauritz. Der Emeritus Wolfgang Spindelmann war Pfarrer, als 1992 alles anfing. Torsten Jortzick ist der heutige Pastor und der Uganda-Hilfe eng verbunden.  Die Pfarrgemeinde in Obiya Palaro heißt auch St. Mauritz. St. Mauritz gehört zu Münster wie die Uganda-Hilfe zu St. Mauritz. 

Bleibt noch nachzutragen, was denn nun im ersten WN-Bericht über Obiya Palaro zu lesen war: „Gesetzt den Fall, ein Münsteraner müsste vom Verdienst eines Uganders leben. Er könnte sich binnen Jahresfrist zehn CDs leisten. Oder einen Staubsauber im Angebot. Das durchschnittliche Jahreseinkommen pro Kopf liegt in Uganda bei 238 Mark.“ Die Zahlen sind heute andere, auch hat der Euro die Mark abgelöst. Aber das Anliegen ist geblieben